
Als uns Tess Callaghan von ihrem neuen Album “Trans Siberian Tracks” erzählte, dachten wir sofort an Rosa Liksoms Roman “Abteil Nr. 6” (DVA Verlag, Originaltitel: “Hytti no 6”), da beides eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn zum Thema hat. Während Rosa Liksom in ihrem Buch eine fiktive Geschichte erzählt, hat Tess Callaghan diese Reise tatsächlich unternommen.
Und es gibt einen weiteren wesentlichen Unterschied: Rosa Liksoms Geschichte ist beklemmend und hat die Schilderungen einer jungen Finnin und ihres ständig Wodka trinkenden Abteilgenossen zum Thema, der vulgäre Witze reißt und von Vergewaltigungen, Schlägereien und dem Mord, für den er im Gefängnis saß, erzählt. Dadurch wird aus der geplanten beschaulichen Fahrt ein Höllentrip.
Tess Callaghan scheint mit ihrer Reise und ihren Abteilgenossen mehr Glück gehabt zu haben. Die Lieder ihrer neuen CD schildern die Erlebnisse und Eindrücke ihrer Reise durch die ihr so fremden Länder in sehr positiver und wohlwollender Weise. Ihre Schilderungen sind die einer jungen wissbegierigen Frau, die mit offenen Augen und Herzen auf die Städte, Landschaften und Menschen blickt.
Die Reise von Tess begann im Oktober 2017 in Moskau. Sie führte sie weit in den Osten Russlands, in die Mongolei und schließlich nach Beijing. Ihre Texte sind bunte Bilder, detailreiche Schilderungen ihrer Erlebnisse und Bescheibungen der Menschen, denen sie begegnet. Sie bevorzugt dabei eine vorsichtige Sprache, die auch die vielen verschiedenen Landschaften, die sie durchreist, nachzeichnet.
Die Musik, die sie dazu schrieb, entspricht ihren früheren Alben. Als Irin sind bei ihr natürlich irische Einflüsse vorhanden, aber sie liebäugelt auch mit Singer-Songwritern aus den USA und hier ist es vor allem Suzanne Vega , die offensichtlich einen wesentlichen Einfluss auf ihre Arbeit hat. Es sind nicht nur die beiden feinen Stimmen, die sich sehr ähnlich sind, es ist der gesamte Ausdruck der Musik. Hier muss man bei Suzanne Vega allerdings gewisse Alben ausnehmen, bei denen sie experimentierte, wie “99,9F” oder “Nine objects of desire”. Aber zum Beispiel “Days of open hand” könnte auch von Tess Callaghan stammen.
Tess Callaghan schreibt Musik, der stets eine sehr angenehme und entspannte positive Stimmung innewohnt. In den neuen Stücken nimmt sie vereinzelt Elemente der lokalen Folklore auf. Dies geschieht meist unauffällig und wenn es betont wird, wird dieses Mittel gekonnt und geschmackvoll eingesetzt.
Die Aufnahmen entstanden, ohne die Stücke vorab gemeinsam geprobt zu haben. Vor der Aufnahme eines Stücks wurden mögliche Ansätze diskutiert. Dies ist sehr erstaunlich, da “Trans Siberian Tracks” sehr homogen und “leicht” wirkt. Aber vielleicht ist es gerade der spontane Ansatz, der zu dieser Leichtigkeit geführt hat.
Auf jeden Fall beweist sich Tess Callaghan auf “Trans Siberian Tracks”, wie auch auf früheren Alben, als versierte Singer-Songwriterin. Sie sucht dabei zwar keine neuen Wege, aber das, was sie macht, macht sie hervorragend. Ihre Melodien sind angenehm und werden von einer herrlich weichen Stimme vorgetragen.
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Noch ein schönes, älteres Video:
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